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„Borderline“ häufigste Persönlichkeitsstörung: Vier von 100 Personen sind von ihr betroffen




Was ist Borderline?


Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) beziehungsweise der Borderline-Typus der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung ist eine schwerwiegende, situationsübergreifende und relativ stabile Störung der Persönlichkeit. Diese führt zu persönlichem Leid oder gestörter sozialer Funktionsfähigkeit. Ungefähr vier von 100 Personen in der Allgemeinbevölkerung sind von Borderline betroffen. In der Klinik ist die Borderline Persönlichkeitsstörung die am häufigsten vorkommende Persönlichkeitsstörung.


Welche Symptome treten auf?


Innere Anspannungszustände gelten als Leitsymptom von Borderline, wodurch sich die Störung von anderen psychischen Erkrankungen abgrenzen lässt. Diese Anspannungszustände werden von Borderline-Patienten als unerträgliche Erregungszustände beschrieben, die plötzlich und situationsunabhängig auftreten können. Borderline-Patienten können die damit einhergehenden Emotionen weder benennen, noch adäquate Handlungen als Reaktion einleiten. Zur Beendigung der Spannungszustände kommt es bei Borderline nur durch dysfunktionale Verhaltensmuster, wie selbstschädigendes oder Hochrisikoverhalten.


Womit haben Borderline-Patienten Schwierigkeiten?


Borderline-Patienten weisen Probleme der Affektregulation und Impulskontrolle auf. Sie haben Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und der Definition der eigenen Identität.


1. Affektregulation bei Borderline

Eine Störung der Affektregulation bedeutet, dass Borderline-Patienten Probleme haben, Gefühle zu Steuern. Neben den oben genannten Anspannungszuständen zeigt sich die gestörte Affektregulation in Form von Gefühlen der inneren Leere oder einer vollständig fehlenden Gefühlswahrnehmung bis hin zu fehlendem Schmerzempfinden. Es kann zum Auftreten mehrerer, sich widersprechender Emotionen gleichzeitig kommen, zum Beispiel Freude und Wut oder Ekel und Erregung. In der Folge leiden Borderline-Patienten zum Beispiel unter Stimmungsschwankungen, impulsiven Gefühlsausbrüchen, Schwarz-Weiß-Denken, Katastrophisieren, Verfolgungsängsten, starker Verzweiflung und Ohnmachtsgefühlen. Ungünstige Bewältigungsstrategien können Selbstverletzung, Hochrisikoverhalten, Suizidalität oder dissoziative Zustände (Abspaltung bestimmter Erlebnisse aus dem Bewusstsein) sein. Sechs von zehn Borderline-Patienten berichten von Suizidversuchen. Selbstverletzende und selbstschädigende Verhaltensweisen können nicht nur der Reduktion von Anspannung dienen, sondern auch als Bewältigungsstrategie der Gefühlslosigkeit angewendet werden, „um sich selbst wieder zu spüren“.


2. Störung der Impulskontrolle bei Borderline

Eine Störung der Impulskontrolle bei Borderline meint, dass Handlungen aus der Situation heraus und ohne das Bedenken der Konsequenzen ausgeführt werden. Typische Auslöser für Handlungsimpulse aus negativen Emotionen, wie Wut, Angst und Verzweiflung, sind Zurückweisungserlebnisse oder befürchtetes Verlassenwerden. Als Hochrisikoverhaltensweisen gelten zum Beispiel Essanfälle, Drogen-, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch, Lügen, Klauen, rücksichtloses Verhalten im Straßenverkehr, riskantes Sexual- oder Kaufverhalten.


3. Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion bei Borderline

Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, also im Umgang mit Anderen kennzeichnen sich bei Borderline durch intensive und dennoch unsichere Beziehungen.


Was denken Borderline-Patienten über sich selbst?

Borderline-Patienten haben ein instabiles und wechselhaftes Selbstbild. Sie halten sich für autonom und spontan, während sie gleichzeitig denken, den anderen unbedingt zu brauchen und nicht allein sein zu können. Borderline-Patienten erleben sich selbst als kompliziert, wertlos, launisch und für andere nicht liebenswert. Das Gefühl „anders zu sein als andere“ tritt bei Patienten mit Borderline schon ab der Kindheit oder Jugend auf.


Was denken Borderline-Patienten über andere?

Gegenüber anderen sind Patienten mit Borderline oft misstrauisch. Sie denken, andere sind unzuverlässig, bemühen sich nicht genug oder wollen sie nur ausnutzen. Gleichzeitig fühlen sie sich abhängig von anderen und erleben deren Nähe als absolut lebensnotwendig und stützend. Ein Wechsel zwischen Überbewertung und Abwertung des Anderen ist die Folge.


Borderline-Patienten nehmen Ärger im Gesicht des Gegenübers fälschlich oder sensibler wahr als Gesunde und sind sensitiver gegenüber sozialer Zurückweisung (Ostrazismus). Aus evolutionärer Sicht stellt die soziale Ausgrenzung eine tödliche Bedrohung dar. Zentral bei Borderline ist unabhängig von Umweltbedingungen ein tiefgreifendes, überdauerndes Gefühl der Einsamkeit. Selbstabwertung, Unterwerfung, Suche nach Bindung oder Aggressionen sind die Reaktion auf dieses Gefühl. Heftige emotionale Reaktionen oder die Demonstration von Hilflosigkeit und Leid, verbunden mit der Hoffnung, Unterstützung zu erlangen oder „gerettet“ zu werden („passive Aktivität“), führen zu einer Überlastung der Sozialkontakte, was häufig soziale Zurückweisung zur Folge hat. Patienten mit Borderline befinden sich im Hinblick auf soziale Beziehungen in einem Teufelskreis, der durch das ständige Wechseln aus Nähe suchen und Distanz herstellen gekennzeichnet ist.


4. Störung der Identität

Ein Kennzeichen für Borderline ist eine Störung der Identität, das heißt Borderline-Patienten haben kein Gespür für sich selbst und wissen nicht, wer sie eigentlich sind. Das Gefühl, im eigenen Körper fremd zu sein, oder Ekel im Umgang mit diesem, sind Ausdruck einer verzerrten Selbstwahrnehmung. Neben Gefühlen von Unsicherheit und einem schlechten Bild von der eigenen Person fällt es Patienten mit Borderline schwer, eine stabile eigene Meinung zu bilden und Entscheidungen zu treffen.


Ist Borderline eine Frauenkrankheit?


In der Forschung wurde lange Zeit fälschlicher Weise davon ausgegangen, dass Frauen eher an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erkranken als Männer. Die Vorstellung, Borderline sei eine Frauenkrankheit, ist möglicherweise entstanden, da Frauen sich eher therapeutische Hilfe suchen als die männlichen Betroffenen. Heute weiß man jedoch: Das Geschlechterverhältnis bei Borderline ist relativ ausgeglichen.


Ritzen sich alle Borderliner?


Acht von zehn der Borderline-Patienten berichten von selbstschädigenden Verhaltensweisen. Neben Schnittverletzungen („sich ritzen“) gelten folgende Verhaltensweisen als typische Selbstverletzung bei Borderline:


  • Sich mit Zigaretten oder anderen heißen Gegenständen verbrennen
  • Verbrühen mit heißen Flüssigkeiten
  • Verätzen
  • Zufügen von Stichwunden
  • Sich Würgen („strangling“)
  • Schlagen des Kopfes gegen harte Flächen

In etwa 80 Prozent der Fälle kommt es zu analgetischen Zuständen, das bedeutet, Patienten haben vor oder während der Selbstschädigung kein Schmerzempfinden. Nicht alle Patienten mit Borderline verletzten sich selbst. Einige Patienten zeigen nur Hochrisikoverhaltensweisen zur Regulation von Spannungszuständen.


Was passiert bei Borderline im Gehirn?


Im Zusammenhang mit Borderline wurden das Limbische System und Teile des Gerhirns im Stirnbereich (präfrontaler Kortex) untersucht. Diese Hirnareale spielen eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Gefühlen und Gedanken (Kognitionen) und beeinflussen Verarbeitungsprozesse, die mit Motivation und Bewegung zu tun haben. Bei Borderline-Patienten wurde festgestellt, dass bestimmte Bereiche im Gehirn (Amygdala und Hipokampus) weniger stark ausgeprägt sind. Es wird vermutet, dass die Veränderungen der Hirnstrukturen mit traumatischen Ereignissen und chronischem Stress in Zusammenhang stehen. Die Amygdala ist Teil des limbischen Systems und beteiligt an der Entstehung, Wiedererkennung und körperlichen Reaktion auf Angst.

Negative Reize oder Umweltereignisse, die eine emotionale Komponente haben, werden von Borderline-Patienten schneller als relevant bewertet. Als Folge reagieren Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung bereits auf schwache Reize mit einer körperlichen Aktivierung (erhöhtes affektives Arousal). Borderline-Patienten sind damit verletzbarer (vulnerabel) sowie anfälliger für Stress. Sie zeigen Reaktionen, die dem Umfeld unangemessen erscheinen. Die Störungen in der Bewertung von Reizen und die darauffolgenden Reaktionen lassen sich auf die herabgesetzte Aktivität des präfrontalen Kortex zurückführen.

Neben der Tendenz von Borderline-Patienten eher in Hochanspannungszuständen zu geraten, lassen diese Spannungszustände weniger rasch nach, als das bei Gesunden der Fall wäre.


Wie lässt sich Borderline behandeln?

Borderline-Patienten können mit Hilfe einer Psychotherapie den Umgang mit ihrer Erkrankung erlernen. Voraussetzung hierfür ist eine ausführliche Diagnostik durch einen Experten, der unter Berücksichtigung von Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) und den aktuellen Lebensumständen einen individuellen Behandlungsplan in Zusammenarbeit mit dem Borderline-Betroffenen entwickelt.

Die Psychotherapie kann je nach Schweregrad der akuten Symptomatik stationär, teilstationär oder ambulant durchgeführt werden. Patienten erhalten dabei häufig eine Kombination aus Einzel- und Gruppentherapie. Zum Umgang mit Spannungszuständen eignet sich ein sogenanntes Skillstraining. Dabei werden Fertigkeiten (Skills) erlernt, die in akuten Anspannungszuständen einen sofortigen Spannungsabbau und Besserung der Symptomatik bewirken, den Borderline-Patienten allerdings langfristig nicht schädigen.


Folgende therapeutische Verfahren sind zur Behandlung von Borderline geeignet:

  • Dialektisch behaviorale Therapie (DBT)
  • Schema-fokussierte Thrapie (SFT)
  • Mentalisierungs-basierte Therapie (MBT)
  • Übertragungs-fokussierte Psychotherapie (TFP)

Zusätzlich zur Psychotherapie kann eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein.


Literatur:

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Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel beinhaltet lediglich allgemeine Hinweise und Beschreibungen zum Thema Krankheitsbild Borderline. Er eignet sich nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung und kann einen Arztbesuch auf keinen Fall ersetzen.

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