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Diagnose per Videochat? Was die Online-Sprechstunde leisten kann - und was nicht




Als Telemedizin bezeichnet man eine bestimmte Form der ärztlichen Behandlung, also sowohl Diagnostik als auch Therapie, bei der räumliche oder zeitliche Distanzen mit technischen Hilfsmitteln überbrückt werden müssen. Im digitalen Zeitalter ist Telemedizin zu einer gefragten Dienstleistung geworden. Immer mehr Ärzte bieten Online-Sprechstunden an, um ihr Wartezimmer zu leeren und Patienten mit eingeschränkter Mobilität den umständlichen Weg zu ersparen. In Deutschland sind aber nur bestimmte Formen von Fernbehandlungen gesetzlich erlaubt. Wer ausschließlich per Video-Chat diagnostiziert und therapiert, macht sich strafbar. Dennoch soll die Telemedizin in Zukunft den Arzt-Patienten-Kontakt erleichtern und die gesundheitliche Versorgung verbessern.


Ist in Deutschland die Fernbehandlung per Video-Chat erlaubt?


Die Bundesärztekammer beschäftigt sich schon seit mehr als 15 Jahren mit den Themen Fernbehandlung und Telemedizin. Beides ist in Deutschland nicht ohne Einschränkungen erlaubt. Im § 7, Absatz 4 der „(Muster-) Berufsordnung für in Deutschland tätige Ärztinnen und Ärzte“ heißt es:


„Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“


Dieser Paragraph ist häufig als „Fernbehandlungsverbot“ bezeichnet worden. Die Bundesärztekammer aber versteht das darin formulierte Verbot ganz anders. Es schließt lediglich solche Formen der Fernbehandlung aus, die keinen Arzt-Patienten-Kontakt, weder vor noch während noch nach der Online-Beratung, beinhalten, dabei aber trotzdem für Diagnose und/oder Therapie genutzt werden. Außerdem sollten im Rahmen Fernbehandlung niemals mehrere Patienten zugleich versorgt werden, auch wenn diese an einer ähnlichen Erkrankung leiden.


Erlaubt sind Fernbehandlungen also immer dann, wenn sie ein konkretes Problem oder eine konkrete Erkrankung eines individuellen Patienten betreffen und wenn an irgendeinem Punkt des Behandlungsverlaufes persönlicher, physischer Arzt-Patienten-Kontakt besteht. Allgemeine Beratungen zu Gesundheitsfragen werden vom Fernbehandlungsparagraphen nicht erfasst und sind daher zulässig. Auch in Notfällen kann Telemedizin zum Einsatz kommen, zum Beispiel dann, wenn der Patient ein Besatzungsmitglied eines Schiffes auf hoher See sein sollte.


Was kann der Arzt in einer Online-Sprechstunde leisten?


Die Online-Sprechstunde eignet sich nicht für jeden Krankheitsfall. Diesem Umstand wird durch den oben zitierten Fernbehandlungsparagraphen Rechnung getragen. Um eine Diagnose zu stellen oder eine passende Therapie einzuleiten, benötigt der Arzt in vielen Fällen seine fünf Sinne. Oft genügt es nicht, eine Erkrankung oder Verletzung optisch zu beurteilen. Ärzte tasten und hören ihre Patienten ab; einige medizinische Probleme fallen durch bestimmte Körpergerüche auf; nur der Geschmackssinn kommt in der modernen Schulmedizin selten zum Einsatz.


Die Kommunikation mit dem Arzt per Videochat kann einen Arztbesuch dennoch manchmal ersetzen. Eine unverbindliche Erstberatung zur Patientengewinnung beispielsweise kann so erfolgen. Die Weiterbehandlung einer Wunde oder eine Erkrankung kann unter Umständen ebenfalls per Online-Sprechstunde geklärt werden. Der Arzt kann mit seinem Patienten Fragen zu dessen Erkrankung besprechen; Patienten können auf diese Weise besser überwacht werden. Auch Zweitmeinungen lassen sich per Video-Chat einholen. Denkbar ist außerdem, dass ein Arzt sich während der persönlichen, physischen Behandlung eines Patienten von einem Kollegen per Video-Chat beraten lässt.


Welche Vorteile bringt die Online-Sprechstunde?


Online-Sprechstunden bringen viele Vorteile für Ärzte und Patienten mit sich. Ein Arzt kann sich im Rahmen einer Behandlung auf diese Weise kurzfristig einen Überblick über den Genesungsfortschritt verschaffen und so entscheiden, ob der Patient noch einmal bei ihm vorsprechen sollte. Die Online-Sprechstunde leert das Wartezimmer, weil Patienten auf diese Weise effektiver und schneller behandelt werden können. Gleichzeitig verursacht sie weniger Verwaltungsaufwand und damit weniger Kosten. Sie verbessert durch die Erreichbarkeit des Arztes das Arzt-Patienten-Verhältnis und schafft mehr Möglichkeiten für Kommunikation und Transparenz. Patienten wiederum können sich dank Telemedizin lange Wege zur Arztpraxis ersparen. Damit reagiert die neue Technik auch auf die niedrige Ärzte-Dichte in ländlichen Regionen. Gerade ältere und bewegungseingeschränkte Patienten profitieren von den Möglichkeiten der Online-Sprechstunde.


Der Großkonzern Google plant einen Online-Sprechstunden-Service für sogenannte „Cyberchonder“ einzuführen, also für Menschen, die ihre Symptome googlen und sich auf diesem Wege selbst unheilbare oder gar tödliche Erkrankungen diagnostizieren. Solche Menschen sollen sich zukünftig per Video-Chat mit einem Arzt verbinden können, der dabei helfen soll, die entstandenen Befürchtungen zu zerstreuen und gegebenenfalls darauf hinweist, dass ein Arztbesuch dennoch angebracht wäre. Google gab 2015 an, diesen Service zunächst kostenfrei in Massachusetts testen zu wollen.


Welche Anbieter für Online-Sprechstunden gibt es?


Es gibt mittlerweile unzählige Anbieter für Online-Sprechstunden. Patientus oder arztkonsultation.de stellen Ärzten beispielsweise eine Software zur Verfügung, mit deren Hilfe sie ihre Patienten per Video-Chat empfangen können. Für diesen Service zahlen Ärzte eine geringe Gebühr. Sie entscheiden selbst, wie und für welche Zwecke sie ihn nutzen. Für Patienten dagegen ist der Service zunächst kostenlos. Ärzte haben die Möglichkeit, die erbrachten Leistungen als telefonische Beratung oder privat abzurechnen. Ab Juli 2017, so schreibt es das E-Health-Gesetz vor, soll es eine eigene EBM-Ziffer zur Abrechnung von telemedizinischen Leistungen in der Gebührenordnung geben. Häufig findet die Online-Sprechstunde vor der „richtigen“ Sprechstunde statt, sodass der Arzt im Notfall den Patienten noch am selben Tag persönlich empfangen kann. Patienten können im Vorhinein einen Termin buchen und werden auf gegebenenfalls entstehende Kosten hingewiesen.


Für Aufregung sorgte in den letzten Jahren das Online-Portal DrEd.com. Patienten haben dort nicht nur die Möglichkeit, einen Arzt per Online-Sprechstunde zu konsultieren, sondern können auf diese Weise auch ein Rezept für verschreibungspflichtige Medikamente erhalten. Das Unternehmen ist in Großbritannien ansässig, wo diese Form der Fernbehandlung nicht gesetzlich verboten ist. Lassen sich deutsche Patienten bei DrEd behandeln, kommt es zu einer kritischen Überschneidung beider Gesetzgebungen. Einerseits erlaubt die EU-Richtline zur Patientenmobilität die freie Arztwahl innerhalb Europas, andererseits verbietet das deutsche Gesetz reine Fernbehandlungen.


Im besten Fall sollten Online-Sprechstunden nur dann wahrgenommen werden, wenn Arzt und Patient einander bereits kennen. Auf diese Weise schützen sich Patienten vor unseriösen Angeboten und hohen Kosten. Das Gesundheitskonto von vitabook bietet die Möglichkeit, per Online-Nachricht mit Dateianhang mit dem behandelnden Arzt zu kommunizieren und kurzfristig entstehende Fragen zu klären. Ab Mitte 2017 wird Nutzern des Gesundheitskontos auch ein sicherer Video-Chat zur Verfügung stehen.


Wie wird der Datenschutz bei der Online-Sprechstunde gewährleistet?

Datenschutz ist in der Telemedizin ein wichtiges Thema. Die persönlichen Belange, Angaben und Daten der Patienten müssen vor Missbrauch durch Dritte geschützt werden. Folgende Bedingungen muss eine seriöse Video-Chat-Software, die für Online-Sprechstunden eingesetzt wird, deshalb erfüllen: Die Videos sollten nicht aufgezeichnet werden; die Datenübertragung muss verschlüsselt erfolgen; nur Arzt und Patient sollten Zugang zu den übermittelten Daten haben. Wer Zweifel an der Gewährleistung des Datenschutzes hat, sollte sich entweder an den entsprechenden Arzt oder besser noch direkt an den Anbieter wenden, um nähere Informationen zu erhalten.


Quellen

Ärztezeitung, „Die Technik greift dem Gesetz vor“: http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/e-health/telemedizin/article/910071/video-sprechstunde-technik-greift-gesetz.html (aufgerufen am 27.03.2017)


Bundesärztekammer, „(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“: http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MBO/MBO_02.07.2015.pdf (aufgerufen am 27.03.2017)


Bundesärztekammer, „Hinweise und Erläuterungen zu § 7 Absatz 4 MBO-Ä (Fernbehandlung)“: http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Recht/2015-12-11_Hinweise_und_Erlaeuterungen_zur_Fernbehandlung.pdf (aufgerufen am 27.03.2017)


Krüger-Brand, H. E., „Arztpsrechstunden online: zum Doktor per Video-Chat“: https://www.aerzteblatt.de/archiv/167546/Arztsprechstunden-online-Zum-Doktor-per-Video-Chat (aufgerufen am 27.03.2017)


Krüger-Brand, H. E., „Gesundheitstelematik: Wann ist Fernbehandlung zulässig?“: https://www.aerzteblatt.de/archiv/162982/Gesundheitstelematik-Wann-ist-Fernbehandlung-zulaessig (aufgerufen am 27.03.2017)


Krüger-Brand, H. E., „Hinweise zur Fernbehandlung“: https://www.aerzteblatt.de/pdf/113/1/a8.pdf (aufgerufen am 27.03.2017)





Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel beinhaltet lediglich allgemeine Hinweise und Beschreibungen zum Thema Online-Sprechstunde. Er eignet sich nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung und kann einen Arztbesuch auf keinen Fall ersetzen.

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