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Warum Adhärenz so wichtig für den Erfolg ärztlicher Therapien ist - und wie Patienten das Therapieziel erreichen




Als Adhärenz bezeichnet man das Maß, in dem das Verhalten eines Patienten mit seinem Therapieziel übereinstimmt. Der Erfolg ärztlicher Therapien hängt wesentlich von der Mitarbeit des Patienten ab (Hilfe zum Einhalten der Therapieziele). Therapiefördernde Verhaltensweisen können nicht nur die korrekte Einnahme von Medikamenten oder die Einhaltung von Bettruhe sein. In vielen Fällen greifen die Anweisungen eines Arztes entscheidend in die gewohnte Lebensführung des Patienten ein. Sie betreffen Ernährung, sportliche Aktivitäten, die Vermeidung bestimmter Situationen, z.B. solche, in denen Ansteckungsgefahr für andere besteht, oder den Verzicht auf Rauschmittel. Ziel der Erforschung von Adhärenz ist es, Möglichkeiten zu finden, um es Patienten leichter zu machen, sich an ärztliche Empfehlungen zu halten und so in Zukunft bessere Therapieerfolge zu erzielen. Der Begriff „Adhärenz“ löst den inzwischen veralteten Begriff „Compliance“ ab und soll ein umfassenderes Verständnis aller Faktoren ermöglichen, die das Verhalten eines Patienten beeinflussen.


Was ist Adhärenz?


Der Begriff „Adhärenz“ kommt vom lateinischen Verb „adhaere“, was so viel bedeutet wie „anhaften“ oder „anhängen“. Das englische Wort „Adherence“ lässt sich mit „einhalten“ oder „befolgen“ übersetzen. Hält sich ein Patient an bestimmte, mit seinem Arzt besprochene Verhaltensregeln, die dafür sorgen sollen, dass sein Therapieziel erreicht wird, nennt man das Adhärenz. Als Non-Adhärenz dagegen bezeichnet man die Weigerung oder Unfähigkeit des Patienten, ärztliche Handlungsanweisungen zu befolgen.


Die Adhärenz des Patienten spielt bei praktisch jeder Form von medizinischer Versorgung eine wesentliche Rolle, bei der konservativen Behandlung von chronischen und akuten Erkrankungen, vor und nach operativen Eingriffen, bei der Prävention, in der Psychiatrie und sogar in der Naturheilkunde.


Bei vielen Erkrankungen erreichen nur etwa 50 Prozent der Patienten eine gute Adhärenz. Dabei ist die Befolgung ärztlicher Ratschläge oft sogar lebenswichtig. Gerade bei chronischen Erkrankungen wie zum Beispiel Mukoviszidose, einer erblich bedingten Stoffwechselstörung, oder bei einer Infektion mit HIV ist es unbedingt notwendig, die entsprechenden Medikamente einzunehmen, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern beziehungsweise zu verlangsamen.


Was ist der Unterschied zwischen „Adhärenz“ und „Compliance“?


Der Begriff „Adhärenz“ wurde früher und wird noch jetzt in einigen Kontexten synonym mit dem Begriff „Compliance“ gebraucht. „Compliance“ meint schlicht „Therapietreue“ und bezieht sich auf den Umstand, dass Patienten sich an ärztliche Anweisungen halten müssen, um Therapieerfolge zu erzielen. Diese Definition entspricht aber einem veralteten Modell der Arzt-Patienten-Beziehung (Das neue Arzt-Patienten-Modell). Wer von „Compliance“ spricht, impliziert damit, dass Arzt und Patient nicht auf Augenhöhe miteinander interagieren können und dass der Patient die alleinige Verantwortung dafür trägt, den ärztlichen Rat, der aufgrund des Expertenstatus des Arztes nicht angezweifelt werden darf, zu befolgen. Dem aktuellen Forschungsstand zufolge liegt die Schuld für eine schlechte Adhärenz aber nicht allein beim Patienten. Stattdessen spielen viele andere Faktoren eine Rolle, unter anderem auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und die Erfahrungen, die der Patient in der Vergangenheit mit Ärzten gemacht hat. In der Naturheilkunde und Alternativmedizin ist die Adhärenz von Patienten auch deshalb wesentlich besser als in der Schulmedizin, weil dort weniger der Expertenstatus des Heilpraktikers als die ganzheitliche Einbeziehung der Persönlichkeit des Patienten im Vordergrund steht. Die Vorteile eines solchen Modells lassen sich aber auch für schulmedizinische Behandlungen fruchtbar machen. Arzt und Patient sollen der Adhärenz-Forschung gemäß einen gemeinsamen Therapieplan entwickeln, der mit den Bedürfnissen und Gewohnheiten des Patienten übereinstimmt.


Welche Faktoren beeinflussen die Adhärenz?


Laut einer umfassenden Studie, die 2003 von der WHO zum Problem der Adhärenz veröffentlicht wurde, beeinflussen folgende Faktoren das Verhalten des Patienten:


Sozialökonomie

  • Sozialer Status
  • Arbeit/Arbeitslosigkeit
  • Bildungsniveau
  • Ökonomischer Status
  • Soziale Netzwerke
  • Lebensbedingungen
  • Geographische Lage
  • Kulturelle Vorstellungen von Krankheit und Behandlung
  • Ethnie
  • Krieg
  • Alter

Gesundheitssystem

  • Arzt-Patienten-Beziehung
  • Kosten für Medikamente
  • Kosten für medizinische Versorgung
  • Ausbildung des Arztes
  • Erreichbarkeit von medizinischer Versorgung
  • Qualität der medizinischen Versorgung
  • Mangelnde Förderung des Selbstmanagements des Patienten

Krankheit

  • Behinderung
  • Krankheitsverlauf
  • Verfügbarkeit einer effektiven Therapie
  • Psychische Erkrankungen
  • Abhängigkeit von Rauschmitteln

Therapie

  • Komplexe Medikamentierung
  • Behandlungsdauer
  • Ausbleibender Behandlungserfolg
  • Nebenwirkungen
  • Erfahrungen mit erfolglosen Therapien

Patient

  • Ressourcen
  • Wissen
  • Glauben
  • Attitüde
  • Erwartungen
  • Charakter
  • Motivation
  • Fähigkeiten
  • Krankheitseinsicht
  • Ängste
  • Nicht-Verstehen der Therapieanweisungen
  • Schlechte Erfahrungen
  • Stigmatisierung

Wie kann Adhärenz gemessen werden?

Es gibt verschiedene Methoden, um Adhärenz zu messen, von denen allerdings die wenigsten absolut zuverlässig sind. Ob ein Patient eine gute Adhärenz erreicht, liegt meist im subjektiven Ermessen des Arztes und des Patienten; auch der Therapieerfolg zeugt nicht in allen Fällen von der Mitarbeit des Patienten. In der Adhärenz-Forschung hat sich deshalb eine Kombination mehrerer Verfahrensweisen bewährt.


Elektronisches Monitoring

Elektronisches Monitoring erzielt sehr genaue Messergebnisse, lässt aber viele Faktoren, die für die Adhärenz eine Rolle spielen, unberücksichtigt. Im Wesentlichen wird auf diese Weise gemessen, ob der Patient seine Medikamente zu den vorgeschriebenen Zeiten einnimmt. Mittels moderner Technik wird dokumentiert, wann der entsprechende Pillenbehälter geöffnet wird. Elektronisches Monitoring erzeugt allerdings hohe Kosten und erfordert die Einweisung des Patienten in die Benutzung des speziellen, dafür notwendigen Pillenbehälters.


Selbsteinschätzung des Patienten mithilfe von Fragebögen

Fragebögen sind die häufigste Methode, um die Adhärenz eines Patienten zu messen. Erfahrungsgemäß überschätzen Patienten ihre Adhärenz allerdings häufig beziehungsweise können keine genauen Angaben zu ihren Verhaltensweisen machen, wenn der Fragebogen sich auf einen zu weit zurückliegenden oder zu langen Zeitraum bezieht.


„Pill count“

Beim „Pill count“ werden die ausgegebenen beziehungsweise verschriebenen Tabletten zu den bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht eingenommenen Tabletten ins Verhältnis gesetzt. Dabei müssen ganz ordinär und von Hand Pillen gezählt werden. Diese Methode kann das elektronische Monitoring ergänzen und kommt häufig in Pflegeeinrichtungen zur Anwendung.


Bestimmung des Medikamentenspiegels im Blut

Die Bestimmung des Medikamentenspiegels im Blut dient zur kurzfristigen Überwachung der anweisungsgemäßen Einnahme von Medikamenten. Die Adhärenz bezüglich der Einhaltung von Medikamentierungsanweisungen über einen längeren Zeitraum kann auf diese Weise nicht überprüft werden. Diese Methode ist zugleich exakt und kostspielig.


Wie lässt sich Adhärenz positiv beeinflussen?


Unabhängig von Dauer, Nebenwirkungen und sonstigen Anforderungen einer Therapie kann der Arzt die Adhärenz des Patienten auf vielerlei Weise positiv beeinflussen. Dabei kommt es vor allem darauf an, wie er die Therapie mit dem Patienten bespricht und ob er auf dessen Bedürfnisse eingeht (Die Behandlung positiv beeinflussen).


Das Selbstvertrauen des Patienten stärken

Ob ein Patient sich an die Handlungsanweisungen seines Arztes hält, hängt in hohem Maße davon ab, wie er seine Kompetenz einschätzt, das geforderte Verhalten auch bei Schwierigkeiten an den Tag legen zu können. Hier kommt es darauf an, das Selbstvertrauen das Patienten und das Vertrauen in seine Selbstwirksamkeit zu stärken, zum Beispiel durch das Berichten von eigenen Erfahrungen oder Erfahrungen anderer Patienten mit der Therapiemethode.


Handlungspläne konkretisieren

In Studien konnte gezeigt werden, dass Therapiepläne umso besser eingehalten werden können, je konkreter die Handlungsanweisungen des Arztes formuliert sind. Demnach ist es schwieriger, seine Medikamente „dreimal täglich“ einzunehmen, als „vor jeder Mahlzeit mit einem Glas Wasser“. Deshalb ist es lohnenswert, wenn Arzt und Patient den Therapieplan individuell an Lebensführung und Tagesablauf des Patienten anpassen.


Stadien unterscheiden

Ob ein Patient eine Handlungsanweisung befolgt, hängt stark davon ab, welche Erfahrungen er bisher gemacht hat und in welchem Stadium er sich befindet: Ist er bereits am Therapieplan gescheitert (postintentional) oder zögert er noch, weil er sich die Einhaltung des Planes nicht zutraut (präintentional). Je nachdem, ob der Patient sich präintentional oder postintentional auf die Therapie bezieht, kann individuell auf seine Bedürfnisse eingegangen werden.


Überzeugungen berücksichtigen

Um mit dem Patienten einen realistischen Therapieplan auszuarbeiten, ist es wesentlich, dessen Überzeugungen, Auffassungen und Glaubenssätze zu berücksichtigen. Aus welchem sozialen, kulturellen oder religiösen Umfeld stammt er? Wie versteht er Krankheit und Heilung? Wovor fürchtet er sich? Welche Therapiemethoden lehnt er ab? Die Erörterung solcher Fragen muss das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht negativ beeinflussen, sondern kann zum besseren gegenseitigen Verständnis beitragen.


Furchtappellationen

Als Furchtappellation bezeichnet man den gezielten Hinweis eines Arztes auf gesundheitliche Risiken bei Nicht-Einhalten des Therapieplanes. („Wenn Sie das Rauchen nicht aufgeben, werden Sie einen Herzinfarkt erleiden!“) Solche Appellationen sind für die Verbesserung der Adhärenz aber nur wenig effektiv und führen im schlimmsten Fall zu Trotzreaktionen des Patienten.


Quellen

Dachverband Adherence e.V., „Compliance vs. Adherence“: http://www.dv-adherence.de/index.php/compliance-vs-adherence.html (aufgerufen am 03.04.2017)


Seehausen, M., Hänel, P., „Arzt-Patienten-Kommunikation: Adhärenz im Praxisalltag effektiv fördern“: https://www.aerzteblatt.de/archiv/111070/Arzt-Patienten-Kommunikation-Adhaerenz-im-Praxisalltag-effektiv-foerdern (aufgerufen am 03.04.2017)


WHO, „Adherence to long-term Therapies: Evidence for Action“: http://www.who.int/chp/knowledge/publications/adherence_report/en/ (aufgerufen am 03.04.2017)




Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel beinhaltet lediglich allgemeine Hinweise und Beschreibungen zum Thema Adhärenz. Er eignet sich nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung und kann einen Arztbesuch auf keinen Fall ersetzen.

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